Frauenpower auf Arabisch - Jenseits von Klischee und Kopftuchdebatte by El-Gawhary Karim

Autor:El-Gawhary, Karim [El-Gawhary, Karim]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Kremayr Scheriau
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

In der Leichenhalle

Fatmas Augen in Kairo hingegen sind erloschen, ebenso wie ihre Hoffnung, ihren Sohn je lebend wiederzusehen. Sie schildert die schrecklisten Momente ihres Lebens. Auch sie hat ihren Sohn auf seinem Handy angerufen, doch statt ihm antwortete ein wildfremder Mann. Als sie das nächste Mal anrief, wurde sie einfach weggedrückt. Nachdem die Zahl der Toten im Stadion im Minutentakt stieg, begann Fatma langsam zu begreifen, in welcher Gefahr sich ihr Sohn befand. Später begab sie sich mit ihrem Mann, wie so viele andere Familien der Al-Ahli-Ultras, zum Hauptbahnhof in Kairo. Hunderte Menschen kamen auf den Bahnsteig und warteten auf ihre Kinder. Keiner sprach, alle liefen wild durcheinander. Es herrschte eine gespenstische Stille. „Jeder dachte wohl nur, hoffentlich ist mein Kind im Zug“, beschreibt Fatma die Szene von damals. „Ich war zuversichtlich, dass mein Sohn kommt. Als er dann nicht im Zug saß, dachte ich, mein Sohn ist klug, er wird sich anders bis nach Kairo durchschlagen. Vielleicht kommt er mit einem späteren Zug oder mit dem Bus, oder er ist mit jemandem im Auto mitgefahren. Aber er kam nicht und mein Herz begann langsam zu spüren, dass etwas Furchtbares geschehen war“, berichtet sie. Viele seiner Freunde kamen aus Port Said zurück, aber Suliman war nicht dabei.

Also machte sich Fatma später mit den vielen anderen vergeblich am Bahnhof wartenden, verzweifelten Familien auf den Weg zur städtischen Leichenhalle. Als sie dort ankam, versuchten die Türsteher sie zunächst aufzuhalten und sagten, die Mütter sollten draußen bleiben. „Ich fragte: was meint ihr damit? Ich habe es einfach nicht begreifen wollen. Ich sagte, ,mein Sohn lebt und ich möchte mit ihm sprechen‘. Dann haben wir dort unsere Kinder gefunden. Sie lagen auf dem Boden, Dutzende Leichen. Alles junge Männer, gut gebaut, im besten Alter. Der jüngste war 14, der älteste 23. Ich kann diese Szene nicht beschreiben“, sagt sie und macht dann doch einen Versuch. „Sie lagen da, viele völlig entstellt, weil sie zu Tode geprügelt oder von den Rängen geworfen worden waren. Manche hatten Ketten um den Hals, mit denen sie erdrosselt worden waren. Der im Club bekannte Trompeter der Ahli-Fans war kaum mehr wiederzuerkennen. Dutzende Male hatten sie auf ihn eingestochen. Auf der ganzen Welt wird Menschen bei einem Fußballspiel nicht das angetan, was unseren Kindern angetan wurde.“

In der Halle hatten die Angehörigen begonnen, die Leichen zu waschen. „20 gleichzeitig. So, als ob man Gemüse waschen würde“, schildert Fatma. „Es gibt keine Mutter der Welt, die so eine Szene aushalten kann.“

Fatma jedenfalls weigerte sich zunächst, den Gedanken an den Tod ihres Sohnes zuzulassen. „Ich habe meinen Sohn gefunden und ihn angelächelt. Ich dachte, er würde schlafen, also habe ich mit ihm gesprochen. Verrückt, ich weiß. Aber kann eine Mutter das begreifen? Ihr Sohn geht zum Fußballspiel und kommt nicht wieder?“, wiederholt sie noch einmal. Ihre Augen sind versunken, graben in der Vergangenheit und in einer Erfahrung, die sie, wie sie sagt „nicht ihren schlimmsten Feinden wünscht“.

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